Zwischen Freiheit & Overtourism

Mein ambivalentes Verhältnis zum Camping

by nadine

Ich gestehe es jetzt mal hier so ganz unter uns: Ich habe ein recht ambivalentes Verhältnis zum Camping. Ich habe ein recht ambivalentes Verhältnis zum Camping. Unter bestimmten Bedingungen, die mit viel Freiheit und wenigen Menschen zu tun haben, liebe ich es. Ansonsten finde ich es eher abtörnend und miete mir lieber ein Ferienhaus. Wer jetzt denkt, ich hätte wahrscheinlich noch nie richtig gecampt, irrt sich. Ich habe meine halbe Kindheit und Jugend im Wohnwagen und Zelt verbracht und insgesamt 15 Monate lang in einem Campervan gelebt. Ich würde also sagen, dass ich mehr als genug Camping-Erfahrung habe.

Camping ist eine Lebenseinstellung und für viele Menschen gibt es nichts Besseres. Andere bekommen deswegen Pickel. 2015 habe ich mal über meine große Liebe zum Reisen mit dem Campervan geschrieben. Seitdem hat ein extremer Campingboom dazu geführt, dass diese Art zu Reisen sehr zwiespältige Gefühle in mir auslöst.

Mein persönlicher Campingtraum – allein in den Weiten Australiens! Photocredit: ein Dank an meinen australischen Freund Peter Clancy, der immer noch so campt, wie wir es zusammen 2002 gemacht haben.

Camping – Zwischen Freiheit & Overtourism:

Mein ambivalentes Verhältnis zum Campen

#1 Was ich am Camping liebe

Ich liebe Freiheit, Roadtrips und mein eigenes Bett (und bestenfalls Bad). Mit meinem Campervan unterwegs zu sein, war für mich daher sehr lange das höchste Glück auf Erden. Heute hier, morgen da – was gibt es Besseres? Mit meinen Eltern bin ich in den 80er Jahren mit dem Campingwagen quer durch Skandinavien und Finnland gereist. Dank des Jedermannsrecht campten wir dadurch an den entlegensten Orten und inmitten schönster Natur. Frühstück mit Aussicht auf überirdisch schöne Fjorde und Abendessen im tiefsten Wald. Nach dem Abi bin ich wochenlang mit dem Zelt durch das 40 Grad heiße Spanien gegurkt, inkl. Dosenravioli, drölfzigtausend Mückenstichen und Sauna ab 7 Uhr morgens.

Ich so, quer durch Spanien, im Sommer 1992.
Mit meinem Campervan, Western Australia, 2002
Camping auf der Gibb River Road in Western Australia, 2002

 

Mit meinem eigenen Campervan habe ich 2000 dann in 3 Monaten die Nord- und Südinsel Neuseelands bereist und 2002 in einem Jahr den australischen Kontinent umrundet. Unschlagbar beim Camping ist einfach die ungaubliche Flexibilität, die Ruhe und Nähe zur Natur. Morgens die Heckklappe aufmachen und auf den Franz-Josef-Glacier oder abends in den unendlichen Sternenhimmel des Outbacks schauen. Unbezahlbar! Wenn einem dann noch ein Emu zum Vanfenster reinschaut, Keas die Gummidichtungen aus den Fensterscheiben knabbern oder man morgens erstmal die Schuhe von Schlangen und Spinnen befreien musst, dann ist das wirklich Abenteuer pur.

Eine Woche lang mit Freunden, Zelt und 4wheel über die Gibb River Road in Western Australia waren ebenfalls so ein Highlight. Keine Dusche oder Toilette weit und breit und soviel Staub, dass ich am Ende rote Haare hatte. Das einzige Bad der Woche gab es gratis in nem Billabong unterm Wasserfall. Camping, wie ich es liebe!

#2 Was ich am Camping so gar nicht mag

Seitdem meine Kinder auf der Welt sind, war ich sage und schreibe nur noch zweimal in einem VW California campen (hier und hier) und einmal Glampen. Testweise waren wir dafür in Holland und an der Mosel und ich sag mal so…. mein Verhältnis ist seitdem sehr zwiegespalten. Beide Trips waren schön, aber hatten nicht im Entferntesten etwas mit meinen bisherigen Campingerfahrungen zu tun.

Vollkommen überfüllte Campingplätze, die mich z.T. an halbe Freizeitparks erinnerten. Zudem so teuer, dass ich mir für das Geld auch direkt eine Ferienwohnung anmieten könnte. Campervan-Staus so weit das Auge reicht. Dazu eine Armada an riesigen, weißen Wohnmobilen samt Dackel, ausfahrbarer Satellitenschüssel und Rollrasen. Dauerfleischgrillende und biertrinkende Campingnachbarn, ausgebaute Vorzelte, versiffte sanitäre Anlagen und schnarchende oder gröhlende Mitcamper haben mir dann den Rest gegeben. Auch Zelten steht bei mir nicht mehr besonders hoch im Kurs. Ich bin eine schlechte Schläferin. Die Vorstellung zu Viert auf Isomatten im Regen oder bei Hitze zu zelten, verursacht mir echte Gruselei.

Interessanterweise geht es Herrn Hibbel genauso und der hat in seiner Jugend sogar monatelang Hardcore-Camping in den USA betrieben. Einfach nur den Schlafsack in den nächsten Busch in Utah geschmissen und dort gepennt. Heute kann ich ihn mit Camping kaum noch hinterm Ofen vorlocken. Vielleicht werden wir spießig oder auch einfach nur alt – aber auf beide Campingarten haben wir noch wenig Lust. Zumindest in Mittel- und Südeuropa.

#3 Campingboom 2020

Camping war in den letzten Jahren bereits sehr beliebt. Corona hat nun aber einen wahren Campingboom ausgelöst. Die deutsche Freizeitfahrzeug-Industrie hat 2020 so viele Erstzulassungen wie nie zuvor und Caravaning liegt in ganz Europa schwer im Trend. Wohin man auf Instagram auch schaut- die halbe Welt scheint im Van unterwegs zu sein. Das ist einerseits toll, denn das bedeutet, das viele Menschen Freiheit und die Nähe zur Natur suchen.

Aber alles was boomt bringt halt neue Probleme mit sich. Nämlich vollkommen überfüllte Camping- und Parkplätze, endlose Staus zu den Touristen-Highlights und vermüllte Übernachtungsplätze. Für mich verliert Camping zudem seinen Reiz, wenn ich nicht mehr spontan sein kann. Bei unseren zwei Campingtrips in Deutschland und den Niederlanden war jeder Camping- und Naturstellplatz komplett ausgebucht. Man muß seine Reise also genau planen und alles vorbuchen. Wenn ich morgens umgeben bin von schlaftrunkenen Menschen, die sich im Gebüsch die Zähne putzen oder Schlange stehen muß, um duschen zu können, dann bevorzuge ich mittlerweile also tatsächlich mein einsames Ferienhaus.

Es mag sie noch geben, diese einsamen Fleckchen Erde, wo man ganz alleine mit seinem Bus oder Zelt stehen darf. Besonders in Skandinavien. Wild campen ist in den meisten Ländern jedoch nicht erlaubt. Aber auch schon vor dem Virus habe ich z.B. in Portugal zig Wildcamper auf einem Fleck gesehen und die Stellplätze waren z.T. zugemüllt mit Bierdosen, Toilettenpapier und Schlimmeren.

#4 Wie kann Camping noch funktionieren?

Alles was zum Trend ausartet, wird leider auch für die Natur und uns selber zum Problem. Die meisten Menschen suchen beim Camping wohl eher Einsamkeit und Entschleunigung und nicht Remmidemmi und Menschenmassen. Wenn aber nun immer mehr Menschen campen gehen, kann das nicht funktionieren. Eine wirkliche Lösung habe ich natürlich auch nicht.

Wir sind einfach extrem viele Menschen, die alle gerne reisen. Aber ich denke, dass es schon helfen würde, wenn man nicht jedem Trend hinterherläuft und antizyklisch reist. Außerdem sollte man Geheimtipps unbedingt für sich behalten, denn sonst sind sie es ganz schnell nicht mehr.

Photocredit: Peter Clancy
Photocredit: Peter Clancy

Ein paar recht „amüsante“ Berichte zum Thema Camping habe ich im Übrigen auch hier gelesen:

Camping: 15 (ganz) ernst gemeinte Tipps & knallharte Facts.

Abenteuer Campingplatz

11 Gründe, warum ihr Camping mit Kindern ausprobieren solltet (und die besten Tipps dafür)

Campen in Deutschland – zwischen Traum und Wirklichkeit

Erzählt mal! Seid ihr Camper und wenn ja, wie seht ihr die Lage? Oder ist Camping für euch eh gar kein Thema? 

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7 comments

Jenny 22. Juni 2020 - 11:08

Danke fürs Verlinken, liebe Nadine!

Ich musste ja schon schmunzeln, als ich von deinem Entsetzen über „modernes Camping“ gelesen habe. Ja, so ist es leider großteils inzwischen: entweder riesige, unnötig luxuriöse und kackteure Plätze voller spießiger Nachbarn oder vermeintlich coole wilde Stellplätze, die von den ach so coolen freiheitsliebenden Campern vermüllt hinterlassen werden :-/

Zum Glück gibt es auch immer noch viele kleinere, ruhige Campingplätze, auf denen man eine wunderschöne Zeit nahe der Natur und in ziemlicher Ruhe verbringen kann (Geheimtipps nicht weitersagen, ist die Devise!). Gerade in diesem Jahr dürfte die 60%-Belegungsgrenze wegen Corona für eine angenehmere Atmosphäre auf vielen Plätzen sorgen – wenn man denn noch einen freien Platz bekommt…

Weil wir eben immer solche Plätze nutzen, lieben wir das Camping weiterhin. Auch, weil es eben beim Reisen mit drei Kindern schlicht nichts günstigeres gibt. Und weil wir auch nicht das Ziel haben, beim Camping völlig allein zu sein. Damit macht man sich zumindest in Europa wohl wirklich nicht glücklich, denn das kann nur scheitern 😉

Liebe Grüße
Jenny

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nadine 23. Juni 2020 - 9:50

Naja, dieses „moderne Camping“ gab es natürlich auch schon früher. Meine Eltern haben seit 40 Jahren einen Campingwagen und daher könnte ich da einige Geschichten a la „Die Camper“ erzählen. 😉 Da stand ich noch nie drauf. Im Zuge dieses Camping-Hypes kann man dem aber immer schlechter aus dem Weg gehen. Die Wohnmobile werden immer größer und luxuriöser und sind überall zu sehen. Schöne Campingplätze sind über Wochen oder gar Monate ausgebucht und dadurch kann man nicht mehr flexibel und spontan reisen. Das hat für mich was von Pauschalreise-Camping. Klar ist jeder Jeck anders und jeder kann und darf campen wie er will. Aber für mich verliert es dadurch seinen Reiz. Zumal es ja auch nicht gerade ökologisch ist, wenn nun 10.000 dicke Busse durch die Weltgeschichte fahren. Und Zelten mit meinen zwei hibbeligen Kindern? Ein Wochenende wäre ok, aber danach wäre ich wahrscheinlich reif für die Klapse… haha! Euch weiterhin fröhliches Campen und liebe Grüße, Nadine

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Nicole 22. Juni 2020 - 11:36

Als absoluter Campingfan muss ich dir in vielen Punkten Recht geben! Hä?! Richtig gelesen. Ich liebe Camping, weil es mir mit kleinen Kindern tatsächlich die meiste Flexibilität bringt, weil wir viel draußen sind und sehr netten Menschen begegnen. Dazu braucht es aber die „richtigen“ Campingplätze, und die gibt es in Deutschland zumindest kaum, auch in Österreich sind wir nicht fündig geworden. Ich mag keine parzellierten, engen Plätze. Ich mag es nicht, diese Wohnschiffe mit Flimmerkasten & Co. neben mir stehen zu haben. Ich mag es nicht, wenn die Menschen die Sanitärs zusauen, weil sie schließlich dafür bezahlen, dass jemand ihren Dreck weg macht. Ich mag hingegen naturnahe, kleine Plätze, gerne abseits der Tourihochburgen. In der Bretagne, in der Provence und in Dänemark (groß, aber weitläufig) sind wir fündig geworden. Die Sanitärs sind einfacher, dafür sauber, weil die Menschen sich hier noch benehmen können und nicht so eine Anspruchshaltung an den Tag legen. Wir haben uns in den Sternen immer weiter runtergearbeitet, letztes Jahr waren wir erstmals auf einem 1-Stern-Platz, und der war wunderbar! DAS ist für Camping. Das ist aber (zum Glück) nicht mainstream-tauglich, und ich hoffe, dass das so bleibt!!

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nadine 23. Juni 2020 - 9:56

Liebe Nicole! Wir sind letztes Jahr per Zufall auch auf einem ganz kleinen 1 Sterne Platz gelandet. Die Betreiber sahen zwar ziemlich fragwürdig aus, aber ansonsten war der Platz ganz nett. Jedenfalls 1000 mal besser als diese riesigen „Campingstädte“, die noch mit Spaßbad, Minidisco und Animation kommen. Meine Kinder fänden das btw sicher toll. Nur wir Großen bekommen davon Pickel. Haha! Man muß sich halt echt auf die Suche nach so Schätzchen machen, aber dadurch ist man dann halt nicht mehr flexibel. Und das ist für mich eigentlich ein riesiger Pluspunkt beim Camping. Spontan da bleiben wo es mir gefällt. Aber das ist in Ferienzeiten eigentlich fast ein Unding. :/ GlG, Nadine

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Oli 22. Juni 2020 - 17:09

Mir geht das so ein bisschen ähnlich: Camping reizt mich zwar grundsätzlich, aber ich habe das Gefühl, dass einem auf Grund des anhaltenden Booms auch immer mehr Feindseligkeit entgegenkommt. Vor allem, wenn man eben nicht so auf überteuerte Campingplätze mit gröhlenden Grillleuten steht und eher frei stehen möchte.

Ich finde, dass das Reisen in Europa generell etwas kaputtrationalisert wurde. Egal ob Flug oder Zug: Wer auf Reisen spontan bleiben will, muss sich diese Freiheit auch erst einmal leisten können. Spontan irgendwo aufschlagen und sich ein Hotel oder Hostel suchen, klappt auch nicht mehr so gut wie früher. Entweder ist alles voll oder man zahlt eben mehr. Ich fürchte, dass das nun auch immer mehr beim Camping so sein wird.

Und noch ein Gedanke zum Thema Abfall: Ich glaube, das ist in Europa in erste Linie ein hausgemachtes Problem. Denn Abfall korrekt entsorgen ist fast überall in Europa ein gewaltiges Problem. Es gibt kaum noch öffentliche Mülleimer und wenn haben die ein so geringes Fassungsvermögen, dass sie eben sehr schnell überquellen.

Wenn man nur wenige Tage und mit dem eigenen Camper unterwegs ist, kann man den Müll ja nach hause nehmen und so ist das offenbar auch gedacht. Aber bei Vanlifern geht das natürlich nicht. Genausowenig bei Leute wie mir, die erst am Zielort bei einer Firma einen Camper mieten, die bei der Rückgabe den Abfall auch nicht will.

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nadine 23. Juni 2020 - 10:05

Hei Oli! Wie meinst Du das mit der Feindseligkeit? Wurdest Du schon schräg angemacht? Und nee, spontan ist in Europa wirklich nicht so einfach. Wenn Du Glück hast, findest Du ein Schnäppchen, aber in der Regel ist es sauteuer. Besonders die Bahn. Als Familie, die auf die Schulferien beschränkt ist, ist es noch viel komplizierter. Da mußt Du in der Hochsaison dann denn dreifachen Preis für die letzten Ramschbuden zahlen. Und auch Camping ist dann z.T. so teuer, dass ich dafür direkt ein ganzes Haus mieten könnte. Versuch z.B. mal an der holländischen Küste über Pfingsten etwas Bezahlbares zu bekommen. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Ja und die Sache mit dem Abfall ist wahrscheinlich ein weltweites Problem. Kennst Du ein Land wo das perfekt läuft? Wahrscheinlich landet unser Mist früher oder später immer im Meer. Müll in die Landschaft schmeißen ist aus meiner Sicht aber immer ein No Go. Jeder sollte seinen Müll mitnehmen und dort entsorgen, wo es auch möglich ist. LG, Nadine

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Oli 24. Juni 2020 - 8:28

Ich selber wurde nie schräg angemacht. Dazu bin ich zu selten mit dem Camper unterwegs. Aber ich habe das schon von Langzeitcampern so gehört und vor allem auch viele böse Leserkommentare auf Spiegel und Co gelesen.

In die Landschaft schmeissen, das geht natürlich nicht. Aber manche Länder machen es einem echt schwer. In Spanien waren zum Beispiel die Entsorgungsstationen so überfüllt, dass ich den Abfall nebendran legen musste. Da denken die Leute dann auch: Diese verdammten Dreckscamper!

Die Schweiz hat auf PET Flaschen kein Pfand und trotzdem eine höhere Rückführubg als manche Länder mit Pfand. Der Grund ist, dass es jede Menge Sammelstellen gibt. Ich merke das an mir selber: In der Schweiz recycle ich die meisten Flaschen, in Deutschland werfe ich sie in den Müll. Mir ist es meistens zu mühsam, am nächsten Morgen in den Supermarkt zu gehen.

Niemand sollte den Müll in den Wald werfen. Aber wenn man will, dass das auch wirklich keiner tut, sollte man es den Leuten auch nicht so sxhwer machen, Dinge richtig zu entsorgen.

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